02 Oktober 2006

Wer mich mal am... an der Briefmarke lecken kann

Samstag bei den Briefmarken- und Münzfreunden, die eine Briefmarkensammlung in der Stadtbücherei eröffneten. Aufgabe des diensthabenden Redakteurs, für den ich diesen Termin für die Lokalausgabe besetzen sollte: "Man kann ja auch mal fragen, warum man eigentlich Briefmarken sammelt."
Frischer Mut also und darüber hinweggeguckt, dass ich ziemlich genau die Ausmaße des Unterhemds des Oberbriefmarkensammlers erraten konnte, weil der so sehr schwitzte, dass sein oberauberginefarbenes Oberhemd auf den Flächen dunkler war, wo kein Unterhemd drunter war. Mitgelacht, als einer der Briefmarken-Fans zu mir auf meine Frage, wie alt denn so die Mitglieder des Vereins seien, sagte: "Höhö! Fragen Sie lieber mal, wer von uns nicht im Altersheim ist! Höhö!" Alle besserwisserische Arroganz beiseite geschoben und nicht darüber aufgeregt, dass die ausgestellten Briefmarken mit keinerlei Erklärungen versehen waren - weder was sie zeigen noch welcher thematischen Gruppe sie angehören noch warum sie so besonders sind noch wem sie gehören noch aus welchen Ländern sie stammen noch wie viel sie wert sind noch... noch... noch... nöcher. Erklärt sich ja auch alles von selbst. Hä? Mmmh. Ja. Vielleicht. Regt ja auch die Phantasie an. Auch nicht beleidigt gewesen, als kein Mensch das übliche: "Ah, die WAZ/Presse, guten Tag!" an mich richtete.
Dann aber mit dem Oberbriefmarkensammler gesprochen. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum man eigentlich Briefmarken sammelt. "Herr M., warum hat der Verein Nachwuchsmangel? Weil die alle heute nur noch E-Mails schreiben?!" Ich gebe zu, der investigative Gehalt dieser Frage tendierte gen Null; es handelte sich eigentlich mehr um eine rhetorische Frage. "Pah!", sagt da dieser Mensch. "Die haben doch alle heute keine Ahnung mehr." Das sind Aussagen, die ich liebe. Die (wer?) haben doch alle (Ach ja?! Alle? auch Ihr Enkel, ja?) heute keine Ahnung mehr (wovon?). Wäre ich ein Hahn gewesen, man hätte deutlich den schwellenden Kamm sehen können. Also konnte ich es mir auch nicht verkneifen nachzusetzen: "Na, na! Die haben heute vielleicht von was anderem Ahnung." "So?! Wovon denn, hä?", ranzt der neunmalkluge Schwitzbold in meine Richtung. Dann kam mein Kardinalfehler: "Zum Beispiel... von Computern." Au Backe. Da hatte ich was in den (BTW menschenleeren) Stadtbücherei-Raum geworfen. "Geh'n sie mir weg mit Computern! So ein Ding kommt mir nicht ins Haus! Ich hab 45 Jahre als Ausbilder bei der Post gearbeitet, alles ohne Computer! Das geht alles auch OHNE!" "Na ja", wagte ich noch mal einzuwerfen. "Zum Beispiel ein Studium - das können Sie heute gar nicht mehr ohne Computer durchziehen." "Daaaas wüsste ich aber! NaTÜRlich kann man das!" Ich - weil: bei Themen, bei denen ich mich auskenne, möchte ich mich ungern unterbuttern lassen: "Ich glaube nicht. Waren Sie dieser Tage mal an einer Uni? Haben Sie sich da mal umgehört? Ob jemand beispielsweise eine simple Hausarbeit noch ohne Computer schreibt?"
Der Mann war dummerweise zu diesem Zeitpunkt schon so in Rage, dass es unterlassene Hilfeleistung oder Mithilfe zum Mord gewesen wäre, hätte ich weitergehakt: Der Mann war kurz vor dem Wutkollaps. Also lenkte ich schnell auf ein unverfängliches Thema um, nämlich auf die Ausstellungsstücke. Numisblätter hingen an der Wand, also Briefmarkenbögen samt einer Münze. Dachte ich mir: Frag ihn doch mal was, wo er mit Wissen glänzen kann. "Was heißt denn genau Numisblätter?" "Also, das weiß ich auch nicht. Das kann ich jetzt nicht sagen."
Ich hätte an der Stelle auf die 46700 Einträge verweisen können, die Google auswirft, wenn man es nach "Numisblatt" fragt. Oder auf Wikipedia, das in gewohnt prägnanter, knapper Weise erklärt, dass es sich dabei um "ein von der Post ausgegebenes und vertriebenes Papier mit einer oder mehreren Briefmarken und einer aufgeklebten Sondermünze" handelt Aber ich habe es gelassen. Unbelehrbare soll man nicht vom Dumm-Sterben abhalten.

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