26 März 2008

Fest-Noz

Die Bretonen sind ein erstaunliches Völkchen. Sie halten ihre Kultur stolz hoch, bestehen auf zweisprachige Orts- und Straßenschilder und spucken am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, verächtlich auf den Boden - denn sie sind Bretonen, keine Franzosen.
Eines der erstaunlichsten Gewohnheiten dieses Volkes durfte ich jetzt miterleben: ein Fest-Noz.

Ort des Geschehens: eine schmucklose Mehrzweckhalle in Prat (bret.: Prad), eine durchschnittliche Gemeinde auf dem Lande bei Lannion. Veranstalter: Die Diwan-Schule Guingamp (bret.: Gwengamp).
Es ist 21 Uhr. Ein paar Kinder flitzen über den Parkettboden, nach und nach füllt sich der Raum mit Menschen. Mit Hochschulprofessoren und Meerestierverkäufern, mit Dreijährigen und Jahrgang-1920-ern. Was sie eint: Sie tragen flache Schuhe. Und bald sollte ich erfahren, wieso.
Kaum greifen die ersten beiden Künstler (LeGac/Brunet) zu ihren Instrumenten - einer Laute und einer Querflöte -, strömen die Menschen auf die Tanzfläche. Ich auch. Ich habe null Ahnung von bretonischen Tänzen, aber Bangemachen gilt nicht und ein Entrinnen gibt's nicht. Also hinein in die Masse der sich zum Kreis formierenden Tänzer. "Woher weiß ich denn, was ich jetzt tanzen muss?", frage ich meine Begleitung, unsere Nachbarn (die zwar auch keine Ur-Bretonen sind, wohl aber Mitglied des örtlichen Vereins zur Pflege der bretonischen Kultur). Das höre man entweder an der Melodie (ich nicht), und die Band sage das auch an (was ich nicht verstehe). Ist auch egal. Wir haken uns unter - der linke Arm greift unter den rechten des rechten Nebenmannes und ergreift dessen Hand - und ab dafür. "Un, deux, trois-et-quatt', cinq, six, sept, huit" - diesem Rhythmus folgend setzt man Fuß neben Fuß. Ich bin schon schwitzig, als diese Stück vorüber ist. Und das war noch die einfachste Nummer.
Denn es kommt noch besser. Bei Tänzen, bei denen man sich mit dem kleinen Finger (!) beim Nachbarn einhakt (bitte, liebe Bretonen, warum ausgerechnet mit dem kleinsten und schwächsten aller Finger? Aua! Sehnescheidenentzündungsalarm!) und dann, während man mit den Füßen daherhoppelt (und durchaus nach schwierigeren Mustern als "un, deux, trois-et-quatt'..."!) auch noch mit den Armen eine Klein-Choreografie ausführt. (Und ich bin immer noch nicht multitaskingfähig! Ich kann nicht mit den Armen was anderes machen als mit den Beinen!)
Der Raum hat sich mittlerweile vollends gefüllt mit etwa 400 Leuten. Beim Tanzen bilden sich mittlerweile mehrere Kreise, die sich schlangenhaft durch den ganzen Saal bewegen, teilweise Rücken an Rücken, so eng ist es, um die Kurve und wieder quer durch. Ich komme, wenn ich mal zwischen zwei Hochkonzentrationsphasen über "un, deux, trois-et-quatt', Hacke, Spitze, hoch das Bein" Gelegenheit habe, aus dem Staunen nicht raus. Hier scheint das, wie es bei vergleichbaren Veranstaltungen in Deutschland wäre, nicht für einen Penny interessant, am Rande zu stehen, Bier oder Cidre oder was auch immer zu trinken und zu gucken oder so. Nein, hier wird getanzt. Nonstop. Ob zur Musik des Duos Le Gac/Brunet, von Darhaou, vom Hauptact des Abends Loened Fall - übrigens eine der bekanntesten Fest-Noz-Kapellen des Landes, wie ich später lese - oder von den A-capella-Gruppen Enora & Ivona oder Kanfarted Magor - vier jeunes, die mit kräftiger, mutiger Stimme den ganzen Saal beschallen und bretonisch singen. Die Leute tanzten. Über Stunden. Hier hat sich auch keiner massiv aufgebrezelt, wie man das bei Festivitäten erwarten könnte. Nein, das zählt hier nicht. Hier zählt das Tanzen.
Irgendwann verabschiede ich mich von dem Streben, alle Schritte richtig zu machen und versuche nur noch, halbwegs im Takt zu hoppeln und zu stampfen und zu schwingen und lasse mich vom Flow der Tanz-Masse treiben. Da klappt es besser und ich fühle mich nicht mehr ganz so oft bemüßigt, meine Nebentänzer mit einem entschuldigenden Blick anzusehen und "Excusez-moi" und "pardon!" zu murmeln.

Das war nicht mein letztes Fest-Noz. Und beim nächsten Mal trage ich auch flache Schuhe.

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