17 Oktober 2007

Countdown to Insanity oder: Der Leitungs-Leidensweg

Er ist beendet, der Countdown des Wahnsinns. Bitte alle mal herkommen, bitte kräftig in die Oberarme kneifen. Bitte mir mal den Mund zuhalten, dass ich nicht unablässig "das kann nicht wahr sein, das kann nicht wahr sein..." vor mich hinstammele. Bitte mal die 0231 - 2493XXX testanrufen.
Ja, danke, es geht der Patientin den Umständen entsprechend. Es könnte sich lohnen, mir einen Port zu legen. Zum Abzapfen der Glückshormone. Die derzeit bei mir anfallende Menge könnte nämlich die Depressiven-Abteilungen sämtlicher NRW-Psychiatrien auf einen Schlag heilen.
Aber zurück zum Beginn des Wahnsinns-Countdowns:

10. September 2007: Teilzeitmitbewohner erbarmt sich der fünf (5) (!) Telefonanlagen-Boxen in meinem Haushalt und hängt sie ordentlich an die Wand. Fassadenfirma baut kleines Gerüst an der Hinterwand des Hauses auf. Telefonleitung knackt und rauscht. Teilzeitmitbewohner wird kurzfristig verdächtigt, Auslöser zu sein. Anruf bei Versatel, Meldung des "Knackens und Rauschens". Dieses "Knacken und Rauschen" sollte ich im Laufe der nächsten Wochen noch bis zum Erbrechen hören.
11. September 2007: SMS der Versatel: "Zwischenstand Ihrer Störungsmeldung: Unsere Technik arbeitet an der Behebung der Störung. Ihr Versatel-Team." Diese Meldung sollte ich im Laufe der nächsten Wochen noch zweimal täglich und bis zum Reinschlagen auf meinem Handy-Display lesen.
12. September 2007: Versatel ruft an. Sie haben ein Hardware-Problem festgestellt und schicken eine neue VersatelBox. Teilzeitmitbewohner ist aus dem Schneider und frei von Schuld.
14. September 2007: Paketbenachrichtungskarte von Versatel.
16. September 2007: Paket von Nachbarn abgeholt.
17. September 2007: Im Paket enthaltene VersatelBox installiert. Große Freude: Ich sehe jetzt auch die Nummern der Anrufenden eingeblendet. Das war vorher nicht.
19. September 2007: Freude ebbt ab. Rauschen und Knacken wird doch wieder schlimmer. Draußen vor dem Haus baut die Fassaden-Firma ein noch größeres Gerüst auf.
25. September 2007: Treffe Nachbarn im Treppenhaus. Seine Telefonleitung ist auch kaputt gewesen. War wohl die Gerüstbaufirma. Aber ein Telekom-Mitarbeiter war da und hat die Leitung repariert. Provisorisch, mit Klingeldraht.
Ich will auch Klingeldraht.
26. September 2007: Ich kann jetzt die komplette Versatel-Gesprächs-Schleife auswendig. "Herzlich willkommen bei der Versatel. Zunächst ein Hinweis: Aus Gründen der Qualitätssicherung zeichnen wir stichprobenartig Gespräche auf. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, so sagen Sie es unserem Mitarbeiter direkt zu Beginn. Und jetzt zu Ihrem Anliegen. Möchten Sie mehr Informationen zu den neuen Mobilfunk-Angeboten der Versatel, drücken Sie die 1. Haben Sie Fragen zu Ihrer Rechnung, drücken Sie die 2. Möchten Sie eine Störung melden, wählen Sie die 3. Oder möchten Sie sich nach dem Stand einer Störungsmeldung erkundigen? Dann nehmen Sie die 4." Bedarf nach mehr? Gerne, ich kann auch die Melodie der "Bitte bleiben Sie in der Leitung. Der nächste freie Mitarbeiter ist sofort für Sie da!"-Schleife mal vorsingen!
1. Oktober 2007: Rauschen und Knacken vorbei. Leitung jetzt ganz tot. Zudem bricht Internet-Verbindung immer wieder ab. Seiten bauen sich jeweils erst nach durchschnittlich siebenmaligem Drücken des Neu-laden-Symbols/der F5-Taste/der Kombination Strg+R (man wird erfinderisch mit der Zeit) auf. Anruf bei Versatel. Sie kümmern sich.
2. Oktober 2007, mittags: Anruf von Versatel. Ob ich zu Hause sei. Sie wollten gern mal eine Schleife (?) in die Telefonleitung legen. Hallo? Ich habe eine Mehralsganztags-Stelle! Ich bin nicht eben mal so mittags zu Hause! Aber gut, ich fahre gerne heute Abend zeitiger als sonst nach Hause und werde ab halb sieben warten, dass sich die Versatel noch mal meldet.
2. Oktober 2007, 18.55 Uhr: Die Versatel ruft an und legt eine Schleife (BTW: was ist eigentlich in telekommunikationstechnischen Zusammenhängen eine Schleife?). Ergebnis: Es liegt an der so genannten letzten Meile. heißt: Die Telekom ist zuständig. Die müssen einen Techniker schicken. Innerhalb der nächsten 24 Stunden. Aber: Ist ja Feiertag. Also am Donnerstag. Zwischen 8 und 17 Uhr.
4. Oktober 2007, 12 Uhr: Noch kein Telekom-Mensch in Sicht. Ist ja auch noch Zeit.
4. Oktober 2007, 15 Uhr: Jetzt müsste aber langsam einer kommen?! Ist ja nicht mehr sooo viel Zeit.
4. Oktober 2007, 17 Uhr: Es ist immer noch keiner gekommen. Jetzt ist keine Zeit mehr!
4. Oktober 2007, 18 Uhr: Säuerlicher Anruf bei Versatel. Meldung, dass Telekom-Mann nicht gekommen ist. "Wir melden uns morgen, am Freitag, und vereinbaren einen Termin."
5. Oktober 2007: Sie melden sich. Wir vereinbaren einen Termin. Für Samstagmorgen geht jetzt nicht mehr. Zu spät. Also Montag, 8 bis 12 Uhr? Ja, bitte. Montag, 8 bis 12 Uhr. Chefin ist lieb und sagt, ich kann erst gegen Mittag an der Uni anfangen.
8. Oktober 2007: 8, 9, 10, 11, 12 Uhr verstreichen. Wut lodert mittlerweile lichterloh. Schnautz-Anruf bei Versatel. "Ich kann Ihren Ärger gut verstehen, aber ich kann nichts anderes tun als einen neuen Termin mit Ihnen zu vereinbaren. Rufen Sie bitte morgen an." AAAAAAARRRGGGGH! Du sollst meinen Ärger nicht VERSTEHEN, du sollst die Telefonleitung reparieren!
9. Oktober 2007: Wieder beruhigt. Noch mal Anruf bei Versatel. Dann eben noch einen neuen Termin machen. Was ist mit Samstag? "Samstags können wir leider keine Termine vereinbaren." "Aber Ihr Kollege hat vergangenen Freitag zu mir gesagt, es GEBE Samstagstermine." "Ich weiß nicht, warum der Kollege das gesagt hat. Ich kann jedenfalls keine Samstagstermine vereinbaren." "Welche Bedingungen müssen denn erfüllt sein, um einen Samstagstermin zu bekommen?" "Das kann ich Ihnen leider nicht sagen." Tob, trampel, schrei, explodier, brüll.
10. Oktober 2007: Versatel-Mensch ruft an, bietet einen Samstagstermin an. Verstehe die Welt nicht mehr, schöpfe aber neue Hoffnung.
13. Oktober 2007: Es ist Samstag. Es ist 8 bis 12 Uhr. Es ist KEIN Telekom-Mensch da.
13. Oktober 2007, 13 Uhr: Anruf bei Versatel. Ich erkundige mich, wohin ich meine Schadensersatzforderung schicken soll. Frage nach, was die Damen und Herren als nächsten Schritt zu unternehmen gedenken. Halte meinen Zorn, der mittlerweile in Hass umschlägt, nur mühsam in Zaum. Beruhige mich damit, dass die armen Callcenter-Mitarbeiter ja nichts dafür können. Ja, ich weiß, dass ihr meinen Ärger verstehen könnt. "Ich schreibe jetzt mal ins Protokoll: 'Kundin ist verärgert.'" "Schreiben Sie bitte 'Kundin ist äußerst verärgert' ins Protokoll!"
14. Oktober 2007: Gespräche mit Freunden und Familie drehen sich mittlerweile nur noch um kaputte Telefonleitungen und die Höhe von Frustrationstoleranzschwellen. Ich bekomme den Spitznamen "rohes Ei", weil ich krebsrot anlaufe und mit Schimpfwörtern um mich schmeiße, die noch niemand aus meinem Munde gehört hat, und weil meinen zum Töten bereit klingenden Tonfall auch noch keiner kennt.
15. Oktober 2007: Ich verwerfe den Ratschlag, die Verbraucherberatung hinzuzuziehen. Meine Kampfkraft und -lust lässt nach. Resignation schleicht sich an.
16. Oktober 2007: Ungefähr der 19. Versatel-Mitarbeiter nimmt Kontakt mit mir auf. Ich kenne sie mittlerweile alle. Die meisten von ihnen sächseln. Das macht es nicht besser, oh nein.
Immerhin: Ein neuer Termin. Mittwoch, 17. Oktober, 12 bis 17 Uhr.
17. Oktober 2007, 13.36 Uhr: Zeichen. Wunder. Rotstiftvorkram. Abendland geht doch nicht unter. Er lebt. Und noch besser: Er steht vor meiner Tür, der Telekom-Mann.
Ich beherrsche mich nur noch mit letzter Kraft, ihm nicht sofort einen Heiratsantrag zu machen oder wahlweise mein Sparbuch zu schenken.
Ein paar besorgte Blicke auf die maroden Telefonleitung dieses Hauses (tatsächlich war meine Leitung durchgefault!), ein paar Dreher mit dem Schrauberzieher, ein Testanruf, und dann hat er ein Ende, der Countdown bis zum Wahnsinn. Das Telefon tut wieder das, wozu es gedacht ist. Es klingelt, es wählt, es schaltet den Anrufbeantworter an. Es lebt. Ungläubigkeit weicht breitem Lächeln auf meinem Gesicht. Alles ist gut.
Dankbarkeit hat heute meinen Namen.

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