15 Juli 2008

Vereinstümelei

Neulich bei der Mitgliederversammlung einer Ortsgruppe der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE). Wie alle vier Jahre findet hier heute wieder eine Vorstandswahl statt. Wie aber noch nie in den letzten 20 Jahren - so lange ist der amtierende Vorsitzende im Dienst - soll diese diesmal auf Wunsch zweier Mitglieder geheim stattfinden.
Kein Problem für den Vorsitzenden; er hat sich das schon gedacht, dass diesmal jemand auf geheime Wahl besteht und entsprechende Zettelchen für alle Wahlgänge mitgebracht. Bei seiner Wahl wird also zunächt eine Wahlkommission (drei Leute) gewählt. Die teilt dann je einen Zettel aus. Auf diesen, so erklärt der Vorsitzende, ist nun "ja" oder "nein" zu schreiben; für oder gegen den vorgeschlagenen Kandidaten. Im Falle des Vorsitzende soll der Amtsinhaber, so schlägt die Versammlung vor, wiedergewählt werden.

Die Anwesenden kramen nach Stiften, schreiben "ja" oder "nein" auf ihre Zettel. Dann sammelt die Wahlkommission die Wahlzettel mit Hilfe einer Wahlurne (=Schuhkarton) wieder ein. Die Auszählung beginnt.
Ergebnis: 20 abgegebene Stimmen, davon 20 gültig - es hat also niemand hat aus Versehen eine Micky Maus auf seinen Wahlzettel gemalt -; 18 für und 2 gegen den Amtierenden. Wiederwahl geglückt!

Jetzt sein Stellvertreter.
Einziger Vorschlag: Der stadtbekannte türkischstämmige Bergmann, gleichzeitig der inoffizielle Integrationsbeauftragte, Dolmetscher für sämtliche Hodschas der Stadt und Vermittler der Partnerschaft mit einer türkischen Gemeinde, vermutlich auch Ehrenmordverhinderer und Hürriyet-Abonnent. Man kennt sein sympathisches Lächeln, er begrüßt jeden in der Stadt mit einem freundlichen "Hallo, Landsmann!"
Wieder werden Wahlzettel durch die Wahlkommission ausgeteilt, wieder wird nach Stiften gekramt, "ja" und "nein" aufnotiert, die Zettel werden schließlich eingesammelt, ausgezählt. Ergebnis: 20 abgegebene Stimmen, davon 20 gültig. 8 "ja", 8 "nein", zwei vier Enthaltungen.

Oha.

Der Vorsitzende kramt seine Vereinsrechtsfibel hervor und verliest: "Bei Stimmengleichheit
(Stimmgleichheit? Aber wir haben doch nur einen Kandidaten?) wird ein zweiter Wahlgang mit den beiden Kandidaten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten, durchgeführt. Wird auch hier keine absolute Mehrheit erzielt, entscheidet das Los."
Also, meine Herren...!

"Moment!", meldet sich da einer der Anwesenden zu Wort. "Wir sollen da jetzt irgendeinen wählen - kann der sich nich ma vorstelln?" (Stimmt nicht ganz: Ihr habt da jetzt gerade einen gewählt bzw. nicht gewählt. Ohne eine Vorstellung von dem Mann.)
Klar kann er. Er steht auf, sagt seinen Namen, bereit, mit Familienstand, Lieblingsfarbe, Sockengröße, Automarke, Durchschnittsverdienst, Leibspeise und Kinderzahl fortzufahren, aber:
Jäh wird er ausgebremst: Aufstehen, Namen sagen, wieder hinsetzen - das muss reichen als Vorstellung.

Dann weiter: Wahlzettel, "ja" oder "nein", einsammeln, auszählen. (Mittlerweile hat ein türkischstämmiges Mitglied den Raum verlassen; Annahme: musste zum Freitagsgebet.) Ergebnis: 12 "ja", 6 "nein", 1 Enthaltung.
Der damit gewählte Stellvertreter wischt sich leise den Schweiß von der Stirn.

Neben mir erzählt einer, der das ganze Wahlprocedere immer wieder stumm mit Kopfschütteln kommentiert hat, während einer neuerlichen Wahlzettelausteilphase von seinem Urlaub neulich in Polen. "Und, hasse dein Auto noch?", fragt ihn einer und lacht sich annähernd scheckig.
Ach ja. Stimmt ja. Alle Polen klauen Autos.
Und wählen tun wir nur den, der sich uns wenigstens mal anständig vorgestellt hat. Frei nach dem Motto: "Sach erstmal anständig 'Grüß' Gott'!"

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